Continuum
INNER MOVEMENT – behind the barrier
Eine Bergwanderung auf einer Hochebene. Immer wieder fällt der Blick aus schwindelerregender Höhe auf den Atlantik. Beim Abstieg durchwandert man verschiedene Vegetationszonen – vom Regenwald hinein in natürliche Steingärten mit blühenden Löffelkakteen. Zeit zum Innehalten!
Die Kompositionen des Trios „CONTINUUM“ erzeugen beim bewussten Hören einen regelrechten Sog. Sie geben dem Publikum das Gefühl, mittendrin, statt nur dabei zu sein. So wie bei der erwähnten Bergwanderung in „Journey to Arure“. Hier nehmen Martin Flindt (Gitarre) und die Brüder Dirk (Saxofone und Percussion) und Jens Piezunka (Kontrabass) ihr Publikum mit auf die Kanareninsel La Gomera. Wozu unsere Gedanken im Stande sein können, wenn sie entsprechende Reize erhalten, zeigt das neue Album „INNER MOVEMENT – behind the barrier“ auf beeindruckende Weise.
Auf ihrem fünften Album schlagen die drei Bandmitglieder von „CONTINUUM“ einen neuen Weg ein. „Bisher lag unser Fokus mehr auf Alter Musik, die wir neu arrangiert haben. Die Monate des Lockdowns und der konzertfreien Zeit wollten wir nun dazu nutzen, eigene Kompositionen einzuspielen“, lässt Saxofonist Dirk Piezunka die Produktion Revue passieren. Mit Blick auf den Albumtitel „INNER MOVEMENT“ ergänzt sein Kollege Martin Flindt: „Wir empfinden die Stücke vor allem als klingende Bilder von Innenansichten und Sehnsüchten, die wir in den für uns typischen, charakteristischen Sound gekleidet haben.“
Dieser Sound mit den stimmungsvollen, weiten Klanglandschaften hat sich in den zehn Jahren seit Bestehen des Trios organisch entwickelt. „Von Anfang an sind wir häufig in Kirchen aufgetreten. Also in Sälen mit hohen Decken und räumlicher Akustik. Das erforderte gewisse Anpassungen in unserer Spielweise. Wir haben schnell gemerkt, dass unter solchen Bedingungen weniger hier oft mehr ist“, erklärt Jens Piezunka ein klangliches Markenzeichen der Band. Ein weiteres basiert auf den unterschiedlichen, musikalischen Roots der Mitglieder – traditioneller und moderner Jazz, Balkanmusik, Klassik und brasilianische Musik. „Aber das, was uns alle vereint, ist die Neugier, neue Klangräume zu erforschen. Was nur gelingt, wenn wir uns komplett aufeinander einlassen. Dieser Prozess verläuft nicht immer konfliktfrei, aber er lässt auch tolle Ergebnisse entstehen“, so Piezunka.
Als Bassist prägt er den Sound des Trios wesentlich mit. Zum Beispiel, wenn er von der Begleit -in die Melodiefunktion wechselt. Oder wenn er zu Bogen oder Schlägeln greift und auf diese Weise seinem Instrument ungewöhnliche Klänge entlockt. So wie bei „Klisidi“ – ein Stück, das uns an einen kleinen, verborgenen Strand auf Kreta führt. Gitarrist Martin Flindt verbrachte dort im Frühjahr 2020 zwei Monate mit seiner Familie. „Corona war dort zu dieser Zeit noch nicht wirklich präsent. Entsprechend entspannt ging es in dieser Bucht zu, in der Jung und Alt die Tage noch unbekümmert miteinander verbringen konnten. Unsere Idee war es, einen Tagesablauf in geraffter Form musikalisch einzufangen. Vom einsamen Strand im Morgengrauen bis zum gemeinsamen Tanz ums Lagerfeuer am Abend“, erklärt Komponist Flindt. Eine Komposition, die in besonders gelungener Weise den „behind the barrier“-Gedanken des Albums unterstreicht.
Ob traditionelle griechische Rhythmen, japanische Skalen oder Harmonien aus der modernen Klassik – wie kaum ein anderes Ensemble verstehen es die Mitglieder von „CONTINUUM“, aus Bestandteilen verschiedener musikalischer Kulturen, Weltmusik im besten Sinne zu formen. „Polar Blue“ wurde von einem Zeitschriftenartikel über die gescheiterte Expedition von Sir John Franklin Mitte der 1840èr Jahre in den kanadisch-arktischen Archipel inspiriert, verrät Komponist Jens Piezunka. „Ein Foto, das in 10.000 Metern Höhe entstand, lieferte die Initialzündung. Das Polarmeer mit seinen unendlichen Weiten, den gleißenden Weiß- und Blautönen. Eine menschenfeindliche Umgebung, die gleichermaßen etwas Faszinierendes, aber auch extrem Bedrohliches ausstrahlt. Hier musikalisch verstärkt durch vergleichsweise harte Klangfarben und dem weiten, tragenden Sound des Sopransaxofons.“
Viele Kompositionen auf dem Album erzählen derart berührende Geschichten. „Erik`s Waltz“ hat Saxofonist Dirk Piezunka einem seiner Söhne gewidmet. „Als Erik noch sehr klein war, wachte er häufig schon früh am Morgen auf und war sehr unruhig. Also nahm ich ihn mit ins Wohnzimmer, stellte sein Bettchen direkt auf den Flügel und fing an, zu improvisieren. Das beruhigte ihn enorm und es dauerte meistens nicht lange, bis er wieder einschlief. Es ist quasi sein Wiegenlied“, erklärt der Saxofonist.
„A Place for the Soul“ gibt die Gedanken und Assoziationen eines geflüchteten Menschen aus Syrien wider, während „Cascades“ die Kaskaden fallenden Wassers eines Bergbaches nachahmt. Im Booklet des Albums unterstreicht jeweils ein Foto die entsprechende Stimmung der Stücke zusätzlich, was „Inner Movement“ zu einem stimmigen Gesamtkunstwerk auf mehreren Ebenen macht.
Im Zentrum stehen aber zweifellos die Klänge von drei Ausnahmemusikern – die, wie es die österreichische Fachzeitschrift „Concerto“ treffend formulierte – vortrefflich schaffen, „die Magie des unverfälschten Tons“ zum Leben zu erwecken.
Eintritt 15€/erm. 10€
Eine Veranstaltung der Jazzmusikerinitiative Oldenburg